Stress und Psychologie: Warum ziehen sich Männer zurück, wenn sie Stress haben?

Fachlich geprüft von Dora Matis, Dr. med.
Aktualisiert 15. August 2025 von BetterHelp Redaktionsteam

Vielleicht hast du das schon einmal erlebt: Dein Partner wirkt plötzlich distanziert. Ohne Vorwarnung zieht er sich zurück, spricht weniger oder wirkt emotional nicht erreichbar. Für viele Frauen kann dieses Verhalten verwirrend und verletzend sein. Aber oft liegt die Antwort in dem grundlegenden Unterschied, wie Männer und Frauen im Allgemeinen mit Stress umgehen. Auch wenn wir uns in manchen Lebensphasen bemühen, die Unterschiede zwischen Frauen und Männern zu überbrücken, bleiben diese doch sichtbar - und das kann bereichernd sein. In einer Welt, die aus Gegensätzen besteht (Tag und Nacht, Sonne und Mond,  warm und kalt), ergänzen sich unterschiedliche Eigenschaften, besonders wenn es um das Fortbestehen und die Vielfalt unserer Spezies geht. 

Stress muss nicht immer negativ sein. Es gibt auch Eustress, der entsteht, wenn wir etwas gerne tun und eine Herausforderung mit Freude und Aufgeregtheit annehmen. Im Gegensatz dazu steht Distress, die negative Form von Stress, die als belastend empfunden wird und oft mit Anspannung oder Überforderung einhergeht.

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Stress und Rückzug: Ein typisch männliches Verhalten?

Was passiert, wenn Männer Stress haben?

Männer reagieren anders als Frauen. Während Frauen in stressigen Situationen häufig das Bedürfnis haben, ihre Gefühle zu teilen und Unterstützung zu suchen, neigen Männer dazu, sich zurückzuziehen. Dieser Rückzug ist kein Zeichen von Desinteresse, sondern ein Bewältigungsmechanismus, um den Stress zu verarbeiten. 

Stress und das männliche Gehirn

Ein Grund für diese Verhaltensweise liegt in der unterschiedlichen Funktionsweise des Gehirns. Studien zeigen, dass Männer bei Stress dazu neigen, ihre Aufmerksamkeit nach innen zu richten, während Frauen aktiv soziale Verbindungen suchen. In der Praxis bedeutet das: Männer konzentrieren sich darauf, das Problem selbst zu lösen, bevor sie wieder emotional verfügbar sind. 

Warum ziehen sich Männer bei Stress zurück?

  1. Biologische Unterschiede

Der männliche Körper reagiert auf Stress mit einer erhöhten Ausschüttung von Hormonen wie Adrenalin und Cortisol. Gleichzeitig sinkt der Oxytocinspiegel - Oxytocin ist ein Hormon, das für Nähe und Bindung wichtig ist. Adrenalin und Cortisol im Mix verstärken das Bedürfnis nach Rückzug und Abgrenzung. Diese Erklärung ist vereinfacht, zeigt aber, dass es grundlegende Unterschiede in der Stressreaktion geben kann.

  1. Soziale Prägung

Von klein auf lernen viele Männer, dass sie stark und unabhängig sein sollen. Gefühle zu zeigen oder um Hilfe zu bitten, wird oft als Schwäche interpretiert. Daher fällt es vielen Männern schwer, über ihren Überforderungserleben zu sprechen - selbst in engen Beziehungen. Eventuell ist das nicht nur durch die soziale Prägung so, sondern eine genetische Disposition, die vergangenen Formen der Spezies Mensch das Überleben sicherte.

  1. Wunsch nach Kontrolle

Für Männer ist es häufig wichtig, in schwierigen Situationen die Kontrolle zu behalten. Viele haben die Erfahrung gemacht, dass sie durch Rückzug in sich selbst wieder die Oberhand über ihre Gefühle gewinnen - sei es über die Situation, ihre Gefühle oder ihren Körper. Wenn im Außen zu viel los ist, ist das eine nachvollziehbare Reaktion.

Wie ziehen sich Männer zurück?

Verändertes Verhalten

Wenn die Männer in unserem Leben sich plötzlich anders zeigen, als gewohnt, dann kann das ein Stressbewältigungs-Verhalten sein.

  • Emotionale Distanz

Sie wirken abwesend oder weniger engagiert, ob beim Dating oder anderswo

  • Kürzere Antworten

Gespräche oder auch Textnachrichten werden knapper und auch oberflächlicher

  • Weniger Initiative

Gestresste Männer vermeiden Dates oder gemeinsame Aktivitäten

Körpersprache

Mimik, Körperhaltung und Gestik sprechen Bände, wenn wir sie zu deuten wissen. Körpersprache wird selten gesteuert und kann deshalb Auskunft über das wahre Befinden einer Person geben. “Man kann nicht nicht kommunizieren.” ist ein Ausspruch des Philosophen, Psychoanalytikers und Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick. 

  • Geschlossene Haltung

Arme verschränkt, Beine/Füße gekreuzt, wenig Augenkontakt

  • Vermeidung von Berührung

Die Häufigkeit von Umarmungen oder generell körperlicher Nähe nimmt ab

  • Nervöse Gesten

Händereiben, Selbstberührungen im Gesicht und andere dienen der Beruhigung

Getty/AnnaStills

Warum fühlt sich der Rückzug für Partner:innen so schwierig an?

Wir alle können verschiedenen Bindungstypen zugeordnet werden. Je nach Typ empfinden wir die oben genannten Reaktionen von Männern auf Stress als bedrohlich oder nicht. Der sichere Bindungstyp wird sich und die Beziehung nicht bedroht sehen durch dieses Verhalten des männlichen Partners, ein ängstlicher Bindungstyp hingegen könnte glauben, all dies habe mit ihr/ihm zu tun und sei eine Zurückweisung.

Emotionale Diskrepanz

Für Frauen, die Stress durch Austausch und Nähe bewältigen, kann der Rückzug des Partners besonders schmerzhaft sein, denn diese Reaktion auf Stress seitens des Partners wird auf die eigene Person bezogen. Es entsteht der Eindruck, dass der Mann ablehnend ist oder keine Gefühle mehr hat - dabei ist der Rückzug oft keine persönliche Entscheidung, sondern eine Antwort des Körpers auf Stress. 

Ungewissheit und Missverständnisse

In einer Situation, in der der Mann keine Antworten gibt oder sich verschließt, fühlen sich viele Frauen unsicher. Sie fragen sich, ob sie etwas falsch gemacht haben, warum er nicht mehr mit ihnen redet und ob die Beziehung in Gefahr ist? Diese Unsicherheit kann die Situation weiter belasten und zu einer unnötigen Auseinandersetzung mit Anschuldigungen führen.

Die Psychologie hinter dem Rückzug

Männer und Frauen haben meist unterschiedliche Methoden, um Stress zu bewältigen. Psycholog:innen sprechen vom ‘Kampf- oder Fluchtmuster’, was bei Männern stärker ausgeprägt ist. Stress aktiviert den Sympathikus, den Teil des Nervensystems, der uns auf Flucht oder Angriff vorbereitet. Rückzug ist eine Form der Flucht - nicht vor der Partner:in, sondern vor dem Stress. Aus evolutionärer Sicht war es für Männer oft lebenswichtig, in gefährlichen Situationen zu handeln und ihre Energie auf die Lösung des Problems zu fokussieren (Stichwort: Säbelzahntiger). Diese Mechanismen wirken bis heute, obwohl die Gefahren, denen wir heute ausgesetzt sind, meistens weniger lebensbedrohlich sind. 

Wie kannst du mit dem Rückzug deines Partners umgehen?

  1. Vermeide Überinterpretationen

Meistens hat der Rückzug deines Partners in stressigen Zeiten nichts mit dir zu tun. Mache dir bewusst, dass es sich um eine Stress-Bewältigungsstrategie handelt und reagiere verständnisvoll.

  1. Gib ihm Raum

Männer brauchen Zeit, um ihren Stress zu verarbeiten. Wenn du versuchst, ihn sofort zum Reden zu bringen, kann das den Druck erhöhen. Gib ihm die Möglichkeit, sich von alleine zu öffnen.

  1. Biete Unterstützung an

Zeige ihm, dass du da bist, wenn er bereit ist, zu sprechen. Eine einfache Frage, wie: ”Möchtest du über irgendetwas sprechen?” reicht oft aus, um ihm das Gefühl zu geben, dass er nicht alleine ist. 

Tipps, um besser mit Stress und Rückzug umzugehen

Für dich selbst

Selbstfürsorge ist eine wichtige Angelegenheit, nicht nur in Bezug auf den Stress des Partners. Konzentriere dich nicht zu sehr auf seine Situation, sondern auch auf deine eigenen Gefühle und sorge dafür, dass es dir gut geht. Nur aus der Position des eigenen Wohlbefindens heraus kannst du für andere eine Hilfe sein. 

Lerne zu vertrauen. Erinnere dich daran, dass zu einem hohen Prozentsatz sein Rückzug nicht bedeutet, dass er dich weniger liebt, sondern dass er gerade angespannt ist. 

Wenn du Schwierigkeiten damit hast, dieses Vertrauen in dir zu finden, dann ist vielleicht eine Online-Therapie das richtige für dich? Aus dem Komfort deiner Zuhause kannst du mit qualifizierten Fachpersonen sprechen und dir Tipps holen, wie du vertrauen kannst.Online-Therapie hat sich bei vielen psychischen Herausforderungen als eine wirkungsvolle Methode erwiesen und steht der Therapie vor Ort in keiner Weise nach. Ganz im Gegenteil: die Möglichkeit, den Therapeut:in immer zu erreichen (auch, wenn die Antwort dann erst zu Bürozeiten erfolgt) ist für viele ein bedeutender Vorteil der computergestützten Therapie. 

Für die Beziehung

Wichtig ist, dass ihr beide offen miteinander kommuniziert. Am besten in Situationen, wenn kein Stress besteht - weder bei dir noch bei deinem Partner:in. Dann könnt ihr in Ruhe darüber beraten, was für euch beide am besten ist. Vielleicht funktionieren für deine Beziehung auch Rituale gut oder ein Safeword?

Stress kann abgebaut werden durch gemeinsam unternommene Aktionen, wie eine Mahlzeit zubereiten oder spazieren gehen.

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Was Männer tun können

Berufliche Herausforderungen, der Wunsch, die Kinder aufwachsen zu sehen und Zeit mit der Mutter dieser zu verbringen, gesellschaftliche Verpflichtungen - es gibt viele Gründe, gestresst zu sein, wenn man alles unter einen Hut bringen möchte.

Der erste Schritt, um Stress zu bewältigen, ist, ihn zu erkennen. In vielen Artikeln wird dir das begegnen: ohne Erkenntnis und Akzeptanz eines Umstandes kann es keine Veränderung geben, denn ist der Zustand unbekannt, weißt du ja nichts davon. 

Bevor es also zu schlaflosen Nächten, Unruhe, Reizbarkeit und körperlichen Verspannungen kommt, ist es eine gute Idee, die Ursache des Stresses zu identifizieren. Ob es Zeitdruck, ungelöste Konflikte oder zu hohe Erwartungen sind, die dich unter Stress setzen, du kannst das ändern.

  • Lerne ‘Nein’ zu sagen

Freundlich, aber bestimmt Grenzen setzen, um das eigene Wohlbefinden (die Gesundheit und Beziehung obendrein) zu schützen, ist legitim

  • Sei körperlich aktiv

Joggen, Walken, Rudern, Krafttraining, Schwimmen, Yoga - es gibt so viele Möglichkeiten, 30 Minuten Bewegung in einen Tag einzubauen.

  • Entdecke Entspannungstechniken

Autogenes Training, Meditation, Atemübungen helfen Körper und Geist zu entspannen. Am besten bevor du am Abend schlafen gehst

  • Versuche, weitgehend auf Stimulanzien zu verzichten. Alles, was deinen Adrenalinspiegel steigen lässt und nicht für einen anschließenden Abbau sorgt. Kaffee und Alkoholkonsum minimieren -Schlaf, gesunde Ernährung und Sport integrieren
  • Lerne, Probleme zu besprechen. Du wirst sehen, wie erfrischend es ist, nicht alles auf den eigenen Schultern zu tragen
  • Gehe deinem Perfektionismus auf den Grund (eventuell mithilfe von Facpersonen) und setze erreichbare Meilensteine, anstelle von unrealistischen Zielen
  • Nimm dir Auszeiten nur für dich. Kleine Fluchten, in denen du mit dem Rad durch die Gegend fährst, spazieren gehst oder ein Hobby pflegst.

Wenn du mit Drogenmissbrauch zu kämpfen hast, kontaktiere die Sucht & Drogen Hotline unter 01806 313 031, um Unterstützung und weitere Hilfsangebote zu erhalten. Unterstützung ist von 8-24 Uhr verfügbar.

Fazit

Man unterscheidet zwischen Eustress und Disstress - ersterer entsteht, wenn es eine Aufgabe zu bewältigen gilt, die uns in Vorfreude und gute Laune versetzt. Letzterer, wenn wir nicht ‘Nein’ sagen können und Aufgaben annehmen, denen wir entweder nicht gewachsen sind oder die wir nicht mögen. ‘Liebe, was du tust und tue, was du liebst’, ist ein wichtiger Leitsatz, über den nachzudenken sich lohnt.

Männer gehen anders mit Stress um als Frauen. Sie haben die Tendenz, sich zurückzuziehen und nicht den Austausch zu suchen, wie Frauen das im Allgemeinen tun. Nichts ist falsch oder schlechter/besser, solange deine Reaktion auf Stress dich nicht psychisch oder physisch krank macht oder dich von deinen Liebsten entfremdet.

Je nach Bindungstyp erleben Frauen und Männer die Beziehung zu ihrem Partner:in anders. Wenn du deinen eigenen Bindungstyp kennst, kannst du deine Reaktionen besser verstehen – und bei Bedarf gezielt verändern.

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